Ein Gedicht zum Sturm

Sturm

Mondschein auf Wäldern, dunkel und tief,
Wolken vom Nordwind getrieben
Wie ein zerrissener Liebesbrief
Von treuloser Hand einst geschrieben.

Gellendes Kreischen im schwarzen Geäst,
Sturmlieder, grausiger Pracht voll,
Tobe, Orkan, ich stehe hier fest,
Fühle mich sicher und machtvoll.

Nie faßt mich Schwindel auf senkrechtem Fels
Bei deinem Schimpfen und Toben,
Kühnre Gedanken im Herzen ich wälz‘,
Wild von dem Brausen umstoben.

Brülle und heule nur toll darauf zu,
Gut passen beid‘ wir zusammen,
Besser als faulen in lebloser Ruh
Ist zu verbrennen in Flammen.

Hermann Löns

Münster, Juni 1890


Quelle:

Hermann Löns: Sämtliche Werke, Band 1, Leipzig 1924, S. 155.

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