
Corona: Dem designierten Vorstandsvorsitzenden der Ärztekammer Osnabrück gehen die derzeitigen Maßnahmen nicht weit genug – Kritik an Politik und Kassenärztliche Vereinigung
In der Krise: Grenzen zwischen ambulanter und stationäre Versorgung aufheben
„Auch wenn das zuständige Labor die Kapazitäten auf mehrere hundert Teste pro Tag erhöht hat, sollte auch in Erwägung gezogen werden, die Kliniklabore der hiesigen Kliniken für die ambulante Diagnostik zu öffnen, auch wenn das Kassenrecht dagegen spricht und ein Problem die schwer lieferbaren und in China hergestellten Reagenzien für die Teste sein sollen“ so Dr. Steffen Grüner, der ab Mai die Ärztekammer Osnabrück leiten wird.
„Im Kreis Steinfurt gibt es inzwischen zwei ambulante Testzentren, ein drittes ist in Planung, leider haben wir in Osnabrück nur das eine am Limberg. Sollte es nicht gelingen, neue Abstrichambulanzen zu schaffen, muss auch über eine Triagierung der Leistungen nachgedacht werden, zumal aus eigener Erfahrung viele Aufträge zum Coronaabstrich durch das Gesundheitsamtes selbst nicht nachvollziehbar sind.
Ebenso fragwürdig ist es, warum in Münster die Patienten den Abstrich selbst machen können, in Osnabrück hier zwingend ein Arzt vorgehalten werden sollen. Viele Facharztpraxen verzeichnen aufgrund der Coronakrise ein geringeres Patientenaufkommen, dadurch werden Kapazitäten frei. Pensionierte Ärzte, Kolleginnen und Kollegen aus dem ambulanten Bereich sollten jetzt die freiwillige Möglichkeit erhalten, in den Kliniken und Notaufnahmen zu arbeiten, um die Kollegen dort zu entlasten. Warum hat hier noch keine Koordination der Freiwilligen stattgefunden?“, so Grüner weiter. Auch sollte man offen dafür sein, im Krisenfall die Rehakliniken für den Akutbereich vorzubereiten.
Ohne Schutz zum Verdachtsfall: Kritik an der Kassenärztlichen Vereinigung
Unzufrieden ist Dr. Grüner mit der Arbeit der Kassenärztlichen Vereinigung:
„Es kann nicht sein, das hier alle Praxen weiterhin Buisiness as usual machen, angesichts einer Infektionskurve, die steiler verlaufen könnte als in Italien. Es muss dringend mit der Landesregierung Kontakt aufgenommen werden, um klare Vorgaben und finanzielle Regelungen bei Praxisschließungen zu erreichen. Dies auch vor dem Hintergrund kommender Ausgangssperren.
Viele Niedergelassenen fühlen sich auch von der Politik im Stich gelassen: Es gibt weiterhin keine Schutzkleidung auf Sprechstundenbedarf, die Ärzte müssen zur Zeit die direkten und indirekten Kosten der Pandemiebekämpfung selbst tragen.“ Bereits von Dezember bis März habe man mit einer ungewöhnlich starken Grippe kämpfen müssen, die Unterstützung seitens der Politik sei gleich Null gewesen, so Grüner weiter. „Einige Helferinnen haben Angst zu arbeiten und lassen sich krankschreiben“ – diese Krankschreibungen gehen natürlich nicht, sind aber auch Ausdruck der Hilflosigkeit, die z.Z. herrschen würde. „Wir tun alles, dass der Damm hält – aber die Regeln des Robert-Koch-Instituts müssen auch bei Quarantäne und Krankschreibungen unbedingt eingehalten werden, damit es auch nicht nur bei den Versorgern, sondern auch in den medizinischen Einrichtungen weiterläuft.“
Offenen Auges in die Krise: Kritik an der Politik
Die Corona-Krise scheint die Politik unvorbereitet zu treffen, obwohl nach SARS, MERS, bzw. Hühner-, Schweine-, Vogelgrippe und Ebola mit weiteren Epidemien in unserer globalisierten Welt zu rechnen war führt Dr. Grüner weiter aus. Noch vor 14 Tagen sollten Ärzte ohne Schutzausrüstung zu den Verdachtsfällen fahren – das ist ein Unding und die Verantwortlichen, vom BMG bis zur Bezirksstelle, sollten hier die entsprechenden Konsequenzen ziehen. (https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/corona-krise-hersteller-von-schutzkleidung-greift-jens-spahn-an-a-dba397bb-d86b-4779-af8c-1912aebce7ac).
Die direkten und indirekten wirtschaftlichen Kosten der dadurch jetzt geschuldeten Wirtschaftskrise wären nicht so hoch, wenn denn Pandemieplänen rechtzeitig Rechnung getragen worden wäre. Der zukünftige Ärztekammerchef in Osnabrück fordert daher:
- Wir sollten auch in Osnabrück alles tun, dass unsere Krankenhauslandschaft nicht weiter kaputtgespart wird, sondern für neue Pandemien gerüstet ist. Der Bertelsmann Konzern, der selbst Kliniken betreibt, legte noch vor wenigen Monaten nahe, dass jedes dritte Krankenhausbett überflüssig sei, der Gesundheitsminister setzte sich 2018 für die Schließung von 628 Notfallambulanzen ein. Vor dem jetzigen Hintergrund war es ein Fehler, die Infektionsstation in der Nähe zum Flughafen FMO oder das Dissener Krankenhaus zu schliessen bzw. die Häuser in Georgsmarienhütte und Bramsche umzustrukturieren.
- Der eigentliche Träger der Pandemiebekämpfung ist das Land und somit der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD). Auch dieser wurde in den letzten Jahren „endoptimiert“ und ist jetzt nicht mehr in der Lage, alleine seinen originären Aufgaben nachzukommen. Auch hier sollte Stadt und Land sich dafür einsetzen, dass der ÖGD personell und strukturell weiter für zukünftige Krisen fit gemacht wird.
Eine Bitte an die Medien
Eine Bitte äußert Dr. Grüner an die Presse: Die Versorgungswege seien in Ordnung, es gäbe keine Engpässe. Eine reißerische Berichterstattung, welche nur der Auflagensteigerung diene, sei hier nicht zielführend. Deutschland habe 2018 über 20.000 Grippetote, 2020 knapp 250 gehabt und man habe erst „wenige“ SARS-Covid Tote – dies solle in der Berichterstattung berücksichtigt werden, um keine unnötige Ängste zu schüren und Versorgungsengpässe nicht künstlich zu provozieren: „Die Versorgungsketten sind intakt, nur die Hamsterkäufe sorgen für vermeidbare Engpässe.“
Dr. Steffen Grüner,
Mitglied des Vorstand der Bezirksstelle der Ärztekammer Osnabrück
Designierter Vorstandsvorsitzender
Oberfeldarzt der R. und Mitglied des Kreisverbindungskommandos Zivilmilitärische Zusammenarbeit Osnabrück
https://ärztekammer2020.chayns.net/
Bildquellen
- Dr. Steffen Grüner: S.G.