Ruppert-Interview: Es fehlt an politischem Willen

Der Parlamamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion Dr. Stefan Ruppert gab der „Hessischen Allgemeinen“ (Samstagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Maximilian Beer:

Frage: Herr Ruppert, liegt in der Coronakrise der richtige Zeitpunkt, um über eine Wahlrechtsreform zu diskutieren?

Ruppert: Ja, weil die repräsentative Demokratie handlungsfähig sein muss. Das gilt vor allem für Krisenzeiten. Wir sehen gerade jetzt, dass das Parlament mit weniger Abgeordneten nicht schlechter arbeitet. Zu viele Abgeordnete machen die Arbeit komplizierter, und wenn wir jetzt nicht handeln, kann es sein, dass der nächste Bundestag bis zu 850 Mandate hat. Auch tagt aktuell die Wahlkreiskommission, die die Wahlkreiseinteilung für die nächste Bundestagswahl vorbereitet. Wenn dieser Prozess abgeschlossen ist, wird es schwieriger sein, eine allgemeine Anpassung vorzunehmen. Ab Beginn der Sommerpause wird es kaum mehr möglich sein, eine Reduzierung der Wahlkreise, wie wir sie fordern, vor der nächsten Bundestagswahl umzusetzen.

Frage: FDP, Linke und Grüne werfen der Großen Koalition vor, die Wahlrechtsreform zu verschleppen. Wieso?

Ruppert: Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ruft schon seit Langem zu einer Einigung auf. Experten wurden angehört und Modelle durchgerechnet. All das liegt seit mehr als einem Jahr auf dem Tisch. Trotzdem hat sich die Große Koalition nach wie vor auf keinen gemeinsamen Vorschlag geeinigt, den sie ins Verfahren einbringen könnte. Seit dem Gesetzentwurf von FDP, Linken und Grünen passiert nichts. Es werden lediglich Nebelkerzen geworfen, indem einzelne Parlamentarier der Großen Koalition Vorschläge über Medien verbreiten. Die Regierung ist offenbar nicht bereit, die notwendigen Einschnitte bei sich selbst zu machen. Vor allem die CSU blockiert.

Frage: Es scheint, als ob die Parteien in dieser Frage vor allem auf ihren eigenen Vorteil aus seien.

Ruppert: Deshalb sollten zwei Prinzipien gelten: Jede Stimme muss gleich viel wert sein und jede Fraktion muss ihrem Anteil gemäß schrumpfen. Es darf keine Bevorteilung geben. Unser Vorschlag erfüllt beide Kriterien. Der Bundestag würde kleiner werden und jeder analog zu seiner Stärke im Parlament Mandate verlieren. Nur so ist es fair und stößt auf Akzeptanz. Deshalb wird unser Modell auch von Experten wie denen der Bertelsmann Stiftung befürwortet.

Frage: Während Corona-Hilfen rekordverdächtig schnell verabschiedet werden, lässt ein Kompromiss beim Wahlrecht seit Jahren auf sich warten. Ist das nicht peinlich für den Bundestag?

Ruppert: Gerade jetzt, wenn in der Krise Freiheiten beschränkt werden, brauchen wir ein starkes Parlament. Umso wichtiger ist es zu beweisen, dass der Bundestag sich in eigener Sache beschneiden kann. Es geht um Glaubwürdigkeit. Und wer sich wie die Große Koalition nicht daran beteiligt und nicht einmal einen gemeinsamen Vorschlag ins Verfahren einbringt, der verspielt einen Teil der Glaubwürdigkeit des Parlaments.

Frage: Was muss geschehen, damit Bewegung in die Debatte kommt?

Ruppert: Der öffentliche Druck auf CDU, CSU und SPD, endlich etwas vorzulegen, muss so groß werden, dass sie sich dem nicht mehr entziehen können. Mein Wunsch ist ein von möglichst vielen Fraktionen getragener Vorschlag. Wie gesagt: Alle Fakten liegen auf dem Tisch. Jetzt fehlt es nur noch an politischem Willen der Großen Koalition, den Bundestag kleiner zu machen.