
Die für heute im Deutschen Bundestag geplante Wahl der drei Kandidaten für das Richteramt am Bundesverfassungsgericht ist überraschend abgesagt worden.
Der Streit um die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf führte zu einem beispiellosen Eklat, der die schwarz-rote Koalition vor der Sommerpause in eine ernsthafte Krise stürzt. Die Entscheidung, die Abstimmungen komplett von der Tagesordnung zu nehmen, wurde mit den Stimmen von Union, SPD, Grünen und Linken beschlossen, während die AfD dagegen stimmte. Im Zentrum des Konflikts stand die SPD-nominierte Juristin Frauke Brosius-Gersdorf, gegen die sich in der Unionsfraktion Widerstand regte.
Neben inhaltlichen Differenzen, insbesondere zu ihrer liberalen Haltung zum Abtreibungsrecht, wurden kurzfristig Plagiatsvorwürfe gegen ihre Doktorarbeit erhoben. Die Union forderte daraufhin, die Wahl von Brosius-Gersdorf zu verschieben, was bei der SPD auf heftigen Protest stieß. Statt nur eine Kandidatin nicht zur Wahl zu stellen, einigte man sich schließlich darauf, alle drei Wahlen – neben Brosius-Gersdorf waren Ann-Katrin Kaufhold (SPD) und Günter Spinner (Union) nominiert – auf einen späteren Termin, vermutlich nach der Sommerpause, zu verschieben.
Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Dirk Wiese, zeigte sich im Bundestag sichtlich aufgebracht über die Entwicklung: „Es ist kein guter Tag für die Demokratie in diesem Land. Dass wir in den letzten Tagen eine Hetzkampagne gegen eine hochangesehene Staatsrechtslehrerin, eine hochangesehene Juristin, die fachlich über jeden Zweifel erhaben ist, erlebt haben, die bis hin zu Morddrohungen im Netz geht, das muss uns massiv Sorgen bereiten.“
Wiese prangerte die Kehrtwende der Union an, die im Richterwahlausschuss zuvor alle drei Kandidaten unterstützt hatte, und warnte vor einer Beschädigung des Ansehens des Bundesverfassungsgerichts durch die politisierte Debatte.
Die Union begründete ihren Rückzieher mit den Plagiatsvorwürfen, die von einem umstrittenen „Plagiatsjäger“ auf X verbreitet wurden. Der dementierte dies allerdings auf X.
SPD und Grüne warfen der Union vor, sich von rechten Kreisen beeinflussen zu lassen. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann nannte den Vorgang ein „Desaster für das Parlament“ und kritisierte Unionsfraktionschef Jens Spahn scharf: „Das ist kein Spiel. Das Ansehen des höchsten Gerichts wird beschädigt.“ Auch Linken-Chefin Heidi Reichinnek sprach von einem „absoluten Armutszeugnis“ und warf der Union vor, Brosius-Gersdorf „den Rechtsextremen zum Fraß vorgeworfen“ zu haben.
Während die Union darauf bestand, nur die Wahl von Brosius-Gersdorf zu verschieben, wollte die SPD keine Aufspaltung der Abstimmung akzeptieren. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) plädierte dafür, die Wahlen in der nächsten regulären Sitzungswoche im September nachzuholen, und forderte die Fraktionen auf, sich auf einen Termin und gegebenenfalls auf neue Vorschläge zu einigen.
Die Debatte zeigt die tiefen Gräben innerhalb der Koalition und wirft Fragen über ihre Stabilität auf. Für das Bundesverfassungsgericht bedeutet die Verzögerung, dass die vakanten Richterstellen vorerst unbesetzt bleiben, was die Arbeit des Gerichts belasten könnte. Die Opposition nutzte die Gelegenheit, um die Regierung scharf zu kritisieren. AfD-Chefin Alice Weidel sprach von einer „instabilen Koalition“, während BSW-Chefin Sahra Wagenknecht von einer „peinlichen Blamage“ sprach.
Der Vorfall verdeutlicht die Sensibilität der Richterwahlen, die eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag erfordern und parteiübergreifenden Konsens voraussetzen. Die kommenden Wochen werden zeigen, ob Union und SPD ihre Differenzen überwinden können, um das Vertrauen in die demokratischen Institutionen wiederherzustellen.