
Erlebnisbericht und Kommentar der Herausgeberin Bianka Specker
Ich bin Pollenallergikerin. Standardmäßig im Frühjahr kommt die Zeit, in der ich niese und schnupfe und mich auch so fühle, wie ich dann aussehe: erschöpft und völlig malade. In Zeiten der Corona eine Zeit der Zurückhaltung, auch ein T-Shirt mit der Aufschrift, „Keine Panik, Heuschnupfen!“, schafft da keine Abhilfe vor der gesellschaftlichen Ächtung. Es ist ja nur eine kurze Zeit im Jahr, ein paar Wochen, sage ich mir dann.
Gestern Abend kochte meine Tochter ein wunderbar duftendes Gyrosgericht, mit einer selbstgemachten Tzaziki-Sauce, die es normalerweise in sich hat- Knoblauch. Weil nicht jeder ein Liebhaber dieser Schärfe ist oder schlicht auch noch unter Menschen gehen muss, werden zwei Varianten angeboten, so dass es stets eine Sauce mit und eine ohne Knoblauchnote gibt.
„Welches ist die Schale mit der scharfen Sauce?“, fragte ich. „Die hier!“, ich hatte die richtige Sauce mit der würzigen Variante auf dem Teller. Ich probierte noch einmal. Nichts. „Geschmacksverlust!“, dachte ich. Ich schmeckte tatsächlich gar keinen Knoblauch heraus, nicht mal eine feine Note. „Hast Du diesmal die Menge Knoblauch etwas reduziert oder so wie immer?“, fragte ich. „Nur zwei kleine Zehen!“
Was verstand mein Nachwuchs unter „zwei kleine Zehen“? Ich hakte noch einmal nach. „Sollte ich das schmecken können?“ – „Ja, dass sollte man schmecken können.“ Sie lächelte. Leichte Unsicherheit machte sich in mir breit. Ich schmeckte nichts, so rein gar nichts. Dabei hatten die Röstaromen beim Braten des Gyrosfleisches doch den Weg in meine Nase gefunden. Also nur Geschmacksverlust?
Ich gestand am Tisch meine soeben gewonnene Erkenntnis: „Ich schmecke nichts, ich leide an Geschmacksverlust!“ Doch statt sofort eingeleiteter Isolation und Essen auf dem Zimmer bekam ich nur eine trockene Antwort: „Mama, es gibt auch andere Möglichkeiten, den Geschmack zu verlieren, Deine Nasennebenhöhlen und alles andere ist da doch gerade dicht!“ Das stimmte. Durch die Pollenallergie war die Nase dicht, die Augen tränten und durch den Druck war mittlerweile auch ab und zu mein Hörvermögen eingeschränkt, ein Nasenspray half in diesen Fällen die Wege wieder frei zu machen. Zeitweise.
Manchmal war ich zu laut, weil ich selbst alles nur gedämpft wahrnahm. Wie während einer langen Tunnelfahrt in den Urlaub, nur dass es in diesem Jahr eine längere Tunnelfahrt sein würde. Während ich manchmal zu laut sprach, nuschelte mein Umfeld nur noch und ich übte mich im Lippen lesen. „Du mußt zum HNO!“ „Ja, ja, ich mache einen Termin.“ Nach der Pollensaison ist das wieder weg. Kritische Blicke, wie jedes Jahr.
Abends spürte ich plötzlich ein Kratzen im Hals. Nun wurde ich doch etwas unruhig. Es gibt so Momente, da sagt einem die innere Stimme, es ist was im Busch. Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass auf diesen Instinkt meist recht guter Verlaß ist. Der Kinderarzt sagte zu mir als Mutter einmal etwas, was mir sehr viel bedeutet hat: „Wenn Sie als Mutter das Gefühl haben, da stimmt etwas nicht, dann kommen sie zu mir. Eine Mutter spürt meist instinktiv, wenn was mit dem Kind nicht in Ordnung ist.“ Ich merkte nun, dass hier etwas nicht stimmte. Neben Geschmacklosigkeit und Halskratzen kam dann noch erhöhte Temperatur hinzu. „Schatz, für Deine Verhältnisse bist Du ziemlich warm“, sagte mein Mann, während er meine Stirn berührte. Er lächelte, aber ich war aber zu schlapp, um einen Konter zu geben. Der mangelnde Widerstand brachte nun auch ihn ins Grübeln, ich wurde ins Bett gesteckt und mit Wärmekissen versorgt.
Meine Gedanken waren nun ganz auf das konzentriert, was uns seit gut zwei Jahren beschäftigt: Corona. Hatte es mich nun doch erwischt? Sollte die Lauterbach’sche Horror-Prognose mich zu Ostern treffen? Oder Pfingsten? Es dauere ja immer ein paar Wochen bis zum Tode? Könnte ich jemanden angesteckt haben? Müßte ich nun die Leute informieren? Wen oder was?
Ich fragte meine Mitbewohner, ob ich mich in die Selbstisolation begeben sollte. Kopfschütteln. Naja, es wäre vermutlich nun eh zu spät und wir würden alle fürchterlich zugrunde gehen. Was hinterlasse ich? Wie würde Judith für mich den Saal schmücken? Ich mußte schmunzeln.
Ich bekam mal eine Tasse geschenkt, auf der steht: „Drama Queen.“ Ja, ich gestehe. Obwohl ich mich nun nach den ganzen Tests im Laufe der Pandemie schon mehrfach in der Situation befand und mit der Frage konfrontiert war: „Hab´ich es nun?“ Bisher waren die Tests immer negativ, der Schnupfen oder die Kopfweh, es war nie was. Aber nun mit der Omikron Variante grassiert das Virus doch so erheblich, dass Erfahrungsberichte von Freunden und Bekannten einen einfachen Überblick darüber geben, wie die Symptome aussehen. Wenn es denn welche gibt.
Man stumpft doch aber ab. Je doller die Voraussagen und Horrorszenarien einiger herausragender Personen, desto mehr hilft ein Blick auf die Datenlage, um sich wieder zu fangen. Bemerkenswert ist aber, wie diese Blase psychischen Einfluß nimmt, auch wenn es nur minimal und für einen Moment ist. So war ich froh, noch nicht groß berichtet zu haben, in den Niederlanden gewesen zu sein. Es war wunderbar dort! Keine Masken, kein Abstand, kein Zurückweichen, keine Faust zur Begrüßung. Als hätte es Corona nie gegeben. Der einzig verbliebene Hinweis auf die Maßnahmen waren die Desinfektionsspender in den Eingängen der Läden und Büros.

An dem Tag war es leider sehr stürmisch und kalt, die Räder an der Kirche in Enschede fielen um, weil der Wind so um die Ecken pfiff. Das kann natürlich auch zu einem Infekt führen- unangemessene Kleidung oder einfach zu viel Windzug. Wir hatten außerplanmäig noch einen Bummel durch die schöne Stadt gemacht.
Ein Niederländer, mit dem ich ins Gespräch kam, über die Coronamaßnahmen und über die derzeitige Politik allgemein, sagte zu mir mit einem leicht verschmitztem Lächeln im Gesicht: „Ihr hättet nicht so hohe Inzidenzen, wenn ihr nicht so viel testen würdet!“ Ich mag diese offene Art der Niederländer. Wir kannten uns nicht und trotzdem wagte er einfach das zu sagen, was er dachte. Über das sich daraufhin entwickelnde Gespräch, dachte ich noch lange nach.
Ich fand es furchtbar, nicht mehr in mein anderes Heimatland rüber fahren zu können. Ich war so lange nicht mehr dort, dass es dauerte, bis ich mich wieder traute in meiner eigentlichen Muttersprache zu sprechen. Die Coronamaßnahmen waren hart, die Frage ist, ob sie auch verhältnismäßig waren. Warum das gefragt werden sollte? Nun ja, es werden weitere Virenarten auf uns zu kommen. Die Frage wird sein, ob diese Art und Strategie der Pandemiebekämpfung so in Zukunft beibehalten werden sollte oder ob es nicht bessere und erfolgreichere Methoden gibt, die weniger hart in das Leben der Menschen eingreifen?
Ich bin der Meinung, dass es besser werden muss. Menschlicher, effektiver und vor allem transparenter. Allein eine 2G Regelung für die Presse kann und darf es nicht wieder geben. Natürlich könnte der Einwand erhoben werden, es sei doch nur ein „Pieks“ (bzw. mehrere Piekse) und nach erfolgter Injektion und ordnungsgemäßer Protokollierung im Impfpass, könne wieder auf der Pressebank Platz genommen werden. Aber was bedeutet es für eine Gesellschaft, für eine unabhängige und kritische Berichterstattung?
Ohne Test, kein Coronainfekt. Ohne PCR Test keinen Genesenenstatus. Ich fühle mich krank und elend, habe aber Lust auf Suppe, so schlimm konnte es also noch nicht um meine Gesundheit bestellt sein. Die Frage, die ich mir stellte war auch: Was macht es mit mir, wenn der Test positiv sein sollte? Bis jetzt war es ja alles nur reine Spekulation. Was aber würde passieren, wenn das Ergebnis zur gnadenlosen Gewissheit wird? Es ist wie bei den Klausurenrückgaben, das Kind ist ja schon in den Brunnen gefallen, die Tinte getrocknet, der Käs´gegessen. Also hopp, Test gemacht. Ein Streifen, der Corona-Test ist negativ.
Sind es doch die Pollen? Die App zeigt derzeit einen starken Pollenflug der Birke, die Autos, Bänke und Briefkästen sind mit einer gelben Schicht des Blütenstaubs überzogen. „Es gibt noch andere Krankheiten als Corona!“, höre ich jemanden hinter mir sagen. Das stimmt und es ist wohl an der Zeit, von der Pandemie Abschied zu nehmen und wieder das Leben allgemein, mit all seinen Facetten in den Fokus zu rücken. Gerade jetzt in der Osterzeit, der Zeit der Besinnung und des Aufbruchs, bietet sich vielleicht eine Möglichkeit dazu.
Ich wünsche Ihnen eine frohe Osterzeit.