
Die Universität Osnabrück hat am 20. September 2022 den ersten Zwischenbericht zum Forschungsprojekt „Betroffene – Beschuldigte – Kirchenleitung: Sexualisierte Gewalt an Minderjährigen sowie schutz- und hilfebedürftigen Erwachsenen im Bistum Osnabrück“ vorgestellt.
Der Teilbericht, der jetzt nach rund einem Jahr Forschung veröffentlicht wurde, widmet sich der Frage, ob in Verdachtsfällen sexualisierter Gewalt die Vorgehensweise von Bistumsverantwortlichen im Einklang mit Vorschriften des staatlichen und des kirchlichen Rechts stand – hier ist also das Handeln von Bischöfen und anderen Mitgliedern der diözesanen Leitungsebene im Fokus, und zwar im Zeitraum von 1945 bis heute.
Bischof Franz-Josef Bode ist gestern, am Donnerstag, 22. September, in einer Pressekonferenz ausführlich auf die Inhalte der Teilstudie eingegangen.
Das Statement zum Zwischenbericht von Bischof Dr. Franz-Josef Bode
PK Zwischenbericht
Bischof Dr. Franz-Josef Bode
„Am vergangenen Dienstag hat die Universität den Zwischenbericht zur Studie „Betroffene – Beschuldigte – Kirchenleitung. Sexualisierte Gewalt an Minderjährigen sowie schutz- und hilfebedürftigen Erwachsenen durch Kleriker im Bistum Osnabrück seit 1945“ vorgestellt. Diese Studie habe ich in Auftrag gegeben, damit die Wahrheit über den Umgang mit sexualisierter Gewalt, vor allem aber der Umgang mit Betroffenen und mit Tätern im Bistum Osnabrück, erforscht wird und der Öffentlichkeit bekannt wird. So wünschte ich besonders erste Ergebnisse dazu nach einem Jahr.
Zunächst einmal möchte ich den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und den drei betroffenen Frauen und Männern, die die Studie begleiten, ausdrücklich danken. Schon der Zwischenbericht ist eine wichtige Hilfe für mein weiteres Handeln.
Im Zwischenbericht sind erhebliche Defizite und schwerwiegende Fehler dokumentiert, die zu einem großen Teil in meiner Amtszeit gemacht worden sind.
Dafür trage ich die Verantwortung. Ich selbst habe in einigen Fällen fahrlässig gehandelt. Professor Schulte-Nölke sprach bei der Vorstellung des Berichts von „Sorgfaltspflichtverletzungen“. Das war vielleicht meiner Leichtgläubigkeit oder meiner Zögerlichkeit geschuldet. Aber es geschah niemals in der Absicht, vorsätzlich zu vertuschen oder Recht zu beugen. Ich bitte alle, denen aufgrund meiner Fehler und Versäumnisse noch größeres Leid geschehen ist, als sie bereits zuvor erlebt hatten, um Vergebung; auch alle, die durch mein Handeln enttäuscht worden sind.
Ich habe intensiv die Frage erwogen, ob ich nach den Ergebnissen dieser Studie noch im Amt bleiben kann oder dem Papst meinen Rücktritt anbiete. Diese Frage ist für mich umso dringender, weil mir bewusst ist, dass meine Glaubwürdigkeit schwer beschädigt ist.
Ich habe mich mit engen Mitarbeitenden beraten und mich entschieden, in meiner verbleibenden Amtszeit mit aller Kraft den Aufgaben und Pflichten nachzugehen, die schon der Zwischenbericht aufzeigt, und mich auch den Ergebnissen des Abschlussberichts zu stellen.
An dieser Zusage will ich mich messen lassen.
Der Zwischenbericht erschüttert mich, weil ich geglaubt habe, dass wir im Bistum Osnabrück schon weiter sind. Weiter vor allem in der Unterstützung der Betroffenen und der Wahrung ihrer Anliegen.
Es macht mich sehr nachdenklich, wie eingeschränkt mein Blick war. Dieser Zwischenbericht führt mir das deutlich vor Augen und gibt wesentliche Hinweise, wie wir im Bistum die Situation ändern können. Diese Hinweise nehme ich sehr ernst. Herr Haucke hat bei der Vorstellung der Studie gesagt, bei Aufarbeitung gehe es letztlich um „die Suche nach der Lehre aus der Geschichte – für alle Seiten“. Die Umsetzung dieser Lehre wird meine Hauptaufgabe für die nächsten Jahre. Begonnen wird damit jedoch sofort.
Meines Erachtens würde ein Rücktritt diesen Prozess verzögern statt fördern.
In einer Zeit der Vakanz könnten wesentliche Weichen nicht gestellt werden.
Der Zwischenbericht der Universität bescheinigt mir und dem Bistum einen echten Lernprozess. Diesen Prozess möchte ich in meiner verbleibenden Amtszeit weiter vorantreiben. Darin sehe ich meine jetzige und künftige Verantwortung.
Was heißt das konkret?
Eine sehr wichtige Erkenntnis aus dem Zwischenbericht ist: Ich und wir können aus eigener Kraft die Aufgaben, die anstehen, intern nicht bewältigen.
Zugleich weist der Zwischenbericht darauf hin, dass der vor drei Jahren von uns begonnene Schutzprozess der richtige Weg in die Zukunft ist.
In diesem Schutzprozess arbeiten bereits zahlreiche externe Fachleute in verschiedenen Arbeitsgruppen, um unseren Umgang mit sexualisierter Gewalt und auch geistlichem Missbrauch zu verbessern. Das betrifft die Bereiche Prävention und Intervention, das Hören und Begleiten von Betroffenen, den Umgang mit Tätern und Beschuldigten sowie die wichtigen systemischen Grundfragen. Wesentliches Instrument der Kontrolle und Steuerung in diesem Prozess ist die überwiegend extern besetzte Monitoring-Gruppe.
Diesen bereits bestehenden Schutzprozess werde ich erheblich stärken, um die schweren Defizite in unserem Verwaltungshandeln zu beheben:
1. durch die Verstärkung der Monitoring-Gruppe.
Ein unabhängige*r Beauftragte*r gewährleistet zukünftig denordnungsgemäßen Ablauf in jedem einzelnen Verdachts- oder Missbrauchsfall, der uns bekannt wird. Damit bekommt diese neue Stelle die Verantwortung, die bisher häufig von der Abteilung Recht und Revision wahrgenommen wurde.
Weisungsberechtigt ist die Monitoring-Gruppe, nicht der Bischof, der Generalvikar oder eine andere Person aus der Bistumsleitung.
Diese Stelle ist bereits ausgeschrieben.
Es wird zudem eine Ombudsstelle für Betroffene eingerichtet, damit die Anwaltschaft für die individuellen Belange der Betroffenen gewährleistet ist und in jedem Einzelfall optimale Lösungen gesucht werden.
Die Aufgaben dieser Person sind unter anderem:• Sie achtet nach, dass die Anforderungen der Studie zu unseren Pflichten gegenüber den Betroffenen umgesetzt werden.
• Sie vermittelt juristische, therapeutische, beratende und geistliche
Hilfe, auch in Zusammenarbeit mit allen Beratungsstellen beim Bistum und der Caritas.
• Sie unterstützt bei Antragsstellungen und anderen Formalien.
• Sie achtet die angemessene Bearbeitungszeit durch die Bistumsverwaltung nach.
• Sie erhält Verfügungsgewalt über den Fonds zur Finanzierung von Therapiekosten, die derzeit noch in der Bistumsverwaltung liegt.
Der Zugang zum Fonds wird unbürokratisch und individuell geregelt.
Weiterhin werde ich ausgemachte Defizite beheben
2. durch verbessertes Controlling des Schutzprozesses.
- Der Vorsitz der Gruppe, die sich um Täter und Beschuldigte kümmert, liegtzukünftig nicht mehr bei einem Mitarbeiter des Bistums, sondern bei einerexternen Person.
- Die Kontrolle, dass alle Auflagen von den Tätern eingehalten werden, wirdebenfalls von dem Beauftragten für den Schutzprozess verantwortet, der der Monitoring-Gruppe zugeordnet ist.
Da ich als Bischof die letzte Verantwortung dafür habe, dass all diese Schritte umgesetzt werden, werde ich zukünftig von den strukturell Verantwortlichen quartalsweise Bericht über die laufenden Maßnahmen erhalten. Diese Berichte werden protokolliert. Meinerseits werde ich über diese Kontrolle Rechenschaft vor dem Gemeinsamen Rat ablegen. Dazu gleich mehr.
Ich habe gerade von dem Fonds gesprochen, aus dem bisher Therapiekosten finanziert werden. Neben den Kosten für Therapien werden zukünftig auch Mittel zur Verfügung gestellt, um zum Beispiel notwendige Unterstützung zur Lebenshaltung zu finanzieren. Der Zugang zu diesen Mitteln wird unbürokratisch sein und durch die oben erwähnte Ombudsstelle geregelt.
Die Studie hat uns deutlich gemacht, dass die bisherigen Zahlungen zur Anerkennung des Leids Betroffener im Vergleich zu dem, was im Rahmen des weltlichen Rechts gezahlt wird, viel zu gering seien.
Mein Kenntnisstand war bis bislang, dass sich die Deutsche Bischofskonferenz an den staatlichen Regelungen orientiert. Am Dienstag habe ich erstmals gehört, dass das nicht so ist. Ich werde mich dafür einsetzen, dass dies auf DBK-Ebene zügig überprüft wird und darauf drängen, dass dies angeglichen wird.
Auch die aufgeworfene Frage, ob Fälle sexualisierter Gewalt an die gesetzliche Unfallversicherung gemeldet werden können, ist aktuell bereits auf Bundesebene in Verhandlungen. Hier werde ich gegenüber der Deutschen Bischofskonferenz auf eine rasche Lösung drängen.
In der Struktur der Bistumsverwaltung und in meinen eigenen Zuständigkeiten werde ich weitere Veränderungen vornehmen.
- Die Personalverantwortung für Priester darf nicht allein in priesterlichen Händen liegen.In der monatlichen Personalkonferenz beraten wir bereits seit vielen Jahren in gemeinsamer Verantwortung von Frauen und Männern, Priestern und Laien verschiedener Professionen. Ich möchte, dass dies auch in der Leitung des Personalreferates abgebildet und der Bereich damit weiter professionalisiert wird.
- Mir ist seit längerem sehr deutlich geworden, dass bei mir als Bischof die Verbindung der Rollen eines Seelsorgers und gleichzeitig eines Personalverantwortlichen sehr problematisch ist. Darum möchte ich diese Doppelrolle auch für mich in meinem Bischofsamt so weit wie möglich auflösen. Sobald ich Informationen über einen Verdacht oder gar konkrete Hinweise zu einer Missbrauchstat erhalte, nehme ich diese ausdrücklich als Personalverantwortlicher entgegen. Das bedeutet, ich binde mich an für alle geltende Meldepflichten und werde die seelsorgliche Begleitung an andere Personen geben.
- Als Bischof möchte ich mich stärker als bisher von Gremien überprüfen und kontrollieren lassen. Dafür möchte ich die bereits angelegten synodalen Strukturen in unserem Bistum noch mehr stärken und nutzen. Insbesondere denke ich dabei an den Gemeinsamen Rat. In diesem Rat tagen mehrmals im Jahr Vertreter*innen aller Gremien des Bistums.
Ich verpflichte mich, dem Rat jährlich einen differenzierten Rechenschaftsbericht vorzulegen. Dieser beinhaltet zentrale Entscheidungen in den Bereichen Personal, Pastoral sowie zu unserem Schutzprozess. Ich werde dies auch in der Geschäftsordnung des Gemeinsamen Rates entsprechend verankern.
Ein gewichtiger Vorwurf des Zwischenberichts ist die mangelhafte Aktenführung in der Personalverwaltung. Die eingeforderte vorschriftsgemäße Aktenführung ist seit Januar 2022 in der Umsetzung.
Mit Vertretern des Betroffenenrats habe ich vereinbart, eine gemeinsame Arbeitsgruppe einzurichten, die sich der schwierigen Frage des angemessenen Umgangs mit dem Andenken verstorbener Täter widmet.
Darüber hinaus werde ich im regelmäßigen Austausch mit Betroffenen bleiben, um ihre Expertise in die geplanten Veränderungsprozesse in unserem Bistum einzubinden.
Die Auswertung des umfangreichen Zwischenberichts ist mit den Maßnahmen, die ich Ihnen hier vorgestellt habe, nicht abgeschlossen.
Bei allen persönlichen Fehlern bitte ich weiterhin um das Vertrauen aller Beteiligten und hoffe darauf, dass sie den gemeinsamen Weg mit mir fortsetzen.
Ich danke allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die bisher so zu mir gestanden haben und es auch jetzt tun.
Im großen Vertrauen auf sie möchte ich den neuen Anfang versuchen.“
Bildquellen
- DomHerbst: Bianka Specker