Stellungnahme des Ratsgymnasiums zu den Neubauplänen des Schulträgers

Präambel:

Getragen von der Überzeugung, durch das Bewahren von Traditionen und das Ermöglichen von Vielfalt den jungen Menschen am Ratsgymnasium das Rüstzeug für eine glückliche und erfolgreiche Zukunft gegeben zu haben und auch weiterhin zu geben, stehen wir den Neubauplänen der Stadt in Form eines Anbaus an das bestehende historische Gebäude kritisch, ja ablehnend gegenüber.

Auf der Gesamtkonferenz vom 11.02.2019 haben die anwesenden Mitglieder in geheimer Abstimmung folgendes Votum abgegeben:

  • 99 Stimmen für ein freistehendes Gebäude („Solitär“)Stimme
  • 1 für einen Anbau an den Lehmann-Bau
  • 10 Enthaltungen

Im Wesentlichen waren es folgende Gedanken, die bei der Aussprache bewegt wurden:
Ein Schulgebäude ist mehr als ein Objekt zum temporären Aufenthalt, das allein aus bautechnischer und finanzieller Perspektive gesehen werden darf. Das Ratsgymnasium ist ein Lebens-, Bildungs- und Entwicklungsort für 100 Lehrkräfte und 1000 Schülerinnen und Schüler. Die, die hier sind, wissen sehr gut, was das Ratsgymnasium ausmacht und wie Schule gelingt. Unsere Sorge ist groß, dass sich die Voraussetzungen für ein gelingendes Zusammenleben, Lehren und Lernen am Ratsgymnasium durch einen Anbau an den Lehmann-Bau verschlechtern wird.

Kritik:

Konkret erwartet die Schulgemeinschaft durch einen Anbau an den Lehmann-Bau erhebliche Ver- schlechterungen in folgenden Bereichen:

1. Die deutlich erhöhte Schülerzahl sorgt für räumliche Enge im Gebäude, eine erhebliche An- hebung des Lärmpegels, starke Stauungen zu Beginn und zum Ende der Pausen in den schmalen Zugängen vom Schulhof zum Gebäude und eine Verdunklung der vorhandenen Flure, so dass ein wesentlicher Teil der Schule nur noch mit künstlicher Beleuchtung benutzt werden kann.

2. Die Identität des historischen Gebäudes wird unwiederbringlich negativ beeinflusst, nach in- nen und außen! Identifikationsmöglichkeiten gehen verloren.

Erläuterungen:

Ein wesentliches Problem, das sich durch einen Anbau an das vorhandene Schulgebäude ergibt, ist die deutlich erhöhte Schülerzahl von ca. 180 Personen (6 Klassen à 30 Schüler/-innen) mehr, die sich dann im bestehenden Gebäude aufhalten, die aber auch zu den Pausen das Gebäude verlassen und betreten müssen. Schon in der jetzigen Situation bilden sich erhebliche Rückstauungen an den schmalen Ein- und Ausgängen. Dieses Problem würde deutlich verstärkt. Eine dauerhafte Entlastung über eine Zuwegung über den Haupteingang ist nach Unterrichtsbeginn bis Unterrichtsende nicht zulässig und möglich.

Die stark erhöhte Schülerzahl im Gebäude führt ebenso zu einer höheren räumlichen und akustischen Belastung im allgemeinen Schulbetrieb. Ein Solitärbau würde zu einer Entzerrung dieser Kon- zentration führen, wie wir sie seit Jahren am Beispiel des sogenannten D-Gebäudes (Neubau aus dem Jahr 2005) erleben können. Das Eingangsfoyer im Altbau stellt einen „Hotspot“ im Schulleben dar, dort befinden sich ein Infobildschirm und weitere Infoboards. Dieser Ort würde aus unserer Sicht die zusätzlichen Schülermengen nicht vertragen. Ein Solitärbau würde einen weiteren „Hotspot“ im Foyer des dortigen Gebäudes ermöglichen, um diese Situation zu entspannen.

Im Vergleich zu seitlichen Anbauten, wie sie auch an historischen Gebäuden nicht unüblich sind, stellt ein frontaler Anbau an ein historisches Gebäude einen massiven Eingriff in die gesamte Gebäu- destruktur dar. Die ursprüngliche Idee des Lehmann-Baus bezüglich der Nutzungsstruktur (Klassenräume, Flure) wird, wie oben erläutert, sowohl bezogen auf die Schülerzahl als auch weitere Aspekte zerstört:

Die vorhandenen Flure werden durch den Anbau auf der gesamten Seitenfläche nur noch schwach mit Tageslicht ausgeleuchtet, da alle Fenster verdeckt werden. Eine dauerhafte Beleuchtung mit Kunstlicht wird notwendig. Neben dem negativen Einfluss auf die Atmosphäre im Gebäude würde ein mit viel Mühe und Kosten erstelltes Farbkonzept, das der Schulträger in Kooperation mit der Schule, einem Architekturbüro und Vertretern des Denkmalschutzes erstellt hat, hinfällig.

Der Schulhof ist zum Altbau genau an der Stelle, an der der Anbau geplant ist, abgesenkt. Dadurch erscheint das Untergeschoss des Altbaus nicht als Kellergeschoss, sondern als Souterrain. Ein Anbau ohne diese Absenkung würde das Untergeschoss unattraktiv in den Keller „verlegen“. Die Neuanlagen eines Souterrains wäre erheblich aufwändig und würde den Schulhof in der Bauphase weitgehend blockieren.

Die Seiten der geplanten Anbauvariante stellen sich als gebäudehohe massive Wände dar. An denEingängen zum Gebäude erzeugen sie dunkle, enge und schlecht einsehbare „Schluchten“. Dies wirktsich negativ auf die Ästhetik und die Atmosphäre aus.

Schon mit dem alten „Pavillon“ (Provisorium aus den 70er Jahren) gestaltete sich der SchulkomplexRatsgymnasium als ein Gebäudeensemble, das den Schulhof einrahmt. Daraus folgt eine „sternförmige“ Verteilung der Schülerinnen und Schüler auf die Gebäude. Ein entspanntes Erreichen aller Gebäudeteile ist dadurch gewährleistet. Der Anbau an den Lehmann-Bau würde hier sehr kontraproduktiv wirken, denn er verstellt einen zentralen Kreuzungsbereich auf dem Schulhof.

Das historische Gebäude des Ratsgymnasiums besitzt sowohl als Identifikationsfaktor für unsere Schule nach innen (Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, Eltern) als auch in seiner Außenwirkung als Alleinstellungsmerkmal des Ratsgymnasiums in Osnabrück einen hohen Wert. Die geplante Baumaßnahme eines Anbaus auf breiter Fläche wirkt hier extrem negativ. Es kann nicht im Interesse der Stadt Osnabrück liegen, die Optik dieses repräsentativen Gebäudes mit einem Anbau zu zerstören.

Vorteil eines Anbaus an das bestehende Gebäude wäre die Möglichkeit, einen Aufzug zu integrieren, der das Gebäude behindertengerechter gestaltet. Ein solcher Aufzug ließe sich aber auch wesentlich unauffälliger und günstiger ohne einen kompletten Anbau errichten. Außerdem verhindert die Integration eines Aufzugs in einen Anbau die Möglichkeit auch das 3. Obergeschoss (z.B. Computerräume) barrierefrei zu erreichen.

Der Flächenverbrauch eines Anbaus wäre zwar geringer als der eines Solitärgebäudes, doch ist der Unterschied nicht erheblich. Die Problematik der räumlichen Enge durch den Anbau am Altbau ist aus unserer Sicht wesentlich höher zu gewichten. Bei entsprechender Planung könnte auch ein Solitärgebäude mit einem geringeren Flächenverbrauch gebaut werden (drei Stockwerke mit je zwei Klassenräumen).

Das primäre Ziel der Baumaßnahme ist die Schaffung von sechs allgemeinen Unterrichtsräumen. Ein Anbau an den Lehmann-Bau könnte Raum für ein vergrößertes Lehrerzimmer schaffen, dafür müss- ten allerdings kleine Räume mit Fenstern zum Schlosswall zu zwei neuen Klassenräumen umgebaut werden. Die bisherigen Planungen schaffen allerdings nur einen neuen ausreichend großen Klassenraum. Diese Räume würden im Vergleich zu Klassenräumen in einem Solitärgebäude der hohen Lärmbelästigung durch den Straßenverkehr am Wall ausgeliefert sein. Außerdem lässt sich eine Vergrößerung des Lehrerzimmers auch mit einfacheren Mitteln erreichen (z.B. Errichtung einer kleinenTreppe vom Lehrerzimmer ins Erdgeschoss, um das alte „Lehrercafé“ an das Lehrerzimmer anzubin- den).

Argumentiert man damit, dass ein Solitärgebäude die Sicht auf das historische Gebäude des Ratsgymnasiums vom Schlossgarten aus versperrt, so ist zu beachten: Diese Sperre war in der langen Zeit des sogenannten Pavillons seit den 70er Jahren vorhanden, außerdem wird der Blick nicht vollständig versperrt. Ein Anbau an das historische Gebäude würde den Blick zwar freihalten, aber dafür ist das historische Gebäude im Wesentlichen nicht mehr sichtbar vorhanden. Aus unserer Sicht ist dies ein schlechter Tausch.

Schließlich bedeutet ein Anbau am bestehenden und genutzten Schulgebäude eine längere Phase, in der der Altbau nicht ungestört genutzt werden kann, während ein Solitärbau den laufenden Schulbetrieb in viel geringerem Maße beeinflussen würde.

In einfachen Schlagworten lassen sich die Probleme durch einen Anbau an den Lehmann-Bau wie folgt beschreiben: Es wird überfüllt, dunkel, laut und unattraktiv.

Wir, Lehrkräfte, Eltern und Schüler des Ratsgymnasiums wünschen uns mit dem Solitärbau keineunangemessen teure und „besondere“ Bauvariante. Die Variante des Solitärs wurde von den verantwortlichen Fachleuten aus dem Bereich Hochbau in die Diskussion eingebracht. Sie wurde als eine sehr praktikable, machbare und bezahlbare Lösung durch die Stadtverwaltung vorgeschlagen, zu der sehr schnell von allen Beteiligten Konsens hergestellt wurde. Das Einbringen einer weiteren Variante, des Anbaus an das bestehende Gebäude, hat die gesamte Planung erheblich verzögert. Alle Aufmerksamkeit galt fortan dieser Lösung. Die Solitär-Variante wurde nicht weiter entwickelt, obwohl sie die Konsenslösung war. Variationen, bei denen sich z.B. der Grundflächenbedarf verringert, indem man drei Geschosse mit je zwei Räumen plant, wurden nicht verfolgt. Sehr wahrscheinlich müssen nun durch die Verzögerung – mit erheblichem finanziellem Aufwand – Container aufgestellt werden. Inwieweit Sekundärkosten, die durch die Anbauvariante entstehen (u. a. komplette Schulhofumgestaltung, Umbaumaßnahmen zur Schaffung großer Räume, Absenkung des Schulhofs, Rampe für den Aufzug), berücksichtigt wurden, ist unklar. In der Diskussion um die Varianten wurden wir zunächst gehört, vor, bei und nach Einbringung der dritten Variante durch Herrn Otte wurden unsere Bedenken zwar noch zur Kenntnis genommen, aber nicht mehr ernsthaft in die Planungen einbezogen.

Fazit:

Die durch die Stadtverwaltung vorgetragenen Argumente für die Anbau-Lösung basieren vor allem auf bautechnischen und vermeintlich (und zurzeit noch vagen) finanziellen Erwägungen. Für uns am Ratsgymnasium steht aber fest, dass dies nicht die maßgeblichen Motive sein dürfen. Vielmehr ist eine Vielzahl schulischer und pädagogischer Maßstäbe für uns leitend.

Das Ratsgymnasium lehnt in großer Einmütigkeit die Anbau-Lösung ab und wünscht die Umsetzung der Solitärvariante.

Wir bitten die Stadtverwaltung und die Mitglieder des Rates der Stadt Osnabrück, die Anbaupläne an den Lehmann-Bau fallen zu lassen und alle Energie in die zügige Umsetzung der Solitärvariante zu stecken. Die Menschen am Ratsgymnasium haben das verdient.

Osnabrück, 20. Februar 2019

  • Für die Schulleitung
  • Lothar Wehleit (Schulleiter)
  • Für das Lehrerkollegium
  • Hartwig Ahrens
  • (Vorsitzender des Personalrats)
  • Für die Schülervertretung
  • Christoph Ellrich (Schülervertretung)
  • Für die Elternvertretung
  • Stefan Felsner
  • (Vorsitzender des Schulelternrats)
  • Manfred Huesmann
  • (Ständiger Vertreter des Schulleiters)