
Die Wahl von drei neuen Verfassungsrichtern am Bundesverfassungsgericht am Freitag, 11. Juli 2025, sorgt für hitzige Debatten. Im Zentrum der Kontroverse stehen die von der SPD nominierten Kandidatinnen Frauke Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold, deren politische Positionen polarisieren.
Nach der Nominierung der insgesamt 3 Kandidaten am Montag im Wahlausschuss muss das Plenum des Deutschen Bundestags am Freitag, den 11.07.25 in geheimer Wahl die Nominierung mit 2/3-Mehrheit bestätigen. Wie es ausgeht, ist noch ungewiss.
Denn die CDU/CSU, die den Bundesarbeitsgerichtsrichter Günter Spinner als ihren Kandidaten vorschlägt, steht vor einem Dilemma: Ohne die Stimmen der Linken oder der AfD ist die erforderliche Zweidrittelmehrheit im Bundestag nicht erreichbar, was die Union in eine politisch heikle Lage bringt.
Umstrittene Kandidatinnen und ihre Positionen
Frauke Brosius-Gersdorf, Professorin für Öffentliches Recht an der Universität Potsdam, ist besonders umstritten. Ihre Position zur Abtreibung hat heftige Kritik ausgelöst. In einer Regierungskommission zur Reform des Abtreibungsrechts 2024 erklärte sie: „Es gibt gute Gründe dafür, dass das verfassungsrechtliche Lebensrecht pränatal mit einem geringeren Schutzstandard gilt als für den geborenen Menschen.“
Diese Aussage, die die Menschenwürde erst ab der Geburt ansetzt, wurde von Lebensrechtsorganisationen wie den Christdemokraten für das Leben (CDL) scharf kritisiert: „Jemand, der Kindern vor der Geburt die Menschenwürde nicht zuerkennen will, ist als Richterin oder zukünftige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts nicht tragbar.“
Die Aussage zur Abtreibung widerspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 39, 1;88, 203), die den Schutz des ungeborenen Lebens als Teil der Menschenwürde betont, wenn auch mit abgestuftem Schutz.
Auch ihre Haltung zu einem möglichen AfD-Verbot sorgt für Wirbel. In der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ am 25. Juli 2024 sagte Brosius-Gersdorf: „Ein AfD-Verbot wäre ein ganz starkes Signal unserer wehrhaften Demokratie“, räumte aber ein, dass „damit nicht die Anhängerschaft beseitigt“ werde. Auf Nachfrage des Moderators, ob sie Menschen „eliminieren“ wolle, verneinte sie.
Im Zusammenhang mit der Diskussion um eine wehrhafte Demokratie in der Sendung erklärte Frauke Brosius-Gersdorf, dass das Grundgesetz „ein paar sehr wirksame Eckpfeiler“ enthalte, die wirksam vor der Gefahr einer erneuten Diktatur schützen. Sie erklärte: „Wir sind eine wehrhafte Demokratie. Wir haben Schutzvorkehrungen gegen verfassungsfeindliche Parteien. Wir haben die Möglichkeit, Einzelpersonen Grundrechte zu entziehen.“
Auch Brosius-Gersdorfs Befürwortung einer Impfpflicht wird stark kritisiert
In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung (am 23. November 2021; Titel „Ist eine Impfpflicht mit dem Grundgesetz vereinbar?“) sprach sich Brosius-Gersdorf für eine allgemeine Impfpflicht aus: „Es ist Aufgabe des Staates, die große Mehrheit der Bevölkerung, die freiwillig geimpft ist, wirksam davor zu schützen, dass ihre Gesundheit von Ungeimpften bedroht wird.“
Die zweite SPD-Kandidatin, Ann-Katrin Kaufhold, steht ebenfalls wegen politischer Ansichten in der Kritik. Kaufhold wird vorgeworfen, Enteignungen zu befürworten, insbesondere im Kontext der Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen.
Ihre Beteiligung an der Expertenkommission zum Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ in Berlin 2022, ihre Beteiligung an Forschungsprojekten und Veröffentlichungen zu „Sustainable Finance“ (z. B. in Zusammenarbeit mit Institutionen wie der Heinrich-Böll-Stiftung) und ihre Arbeit zu Klimaverfassungsrecht (etwa die Rolle von Gerichten bei Klimaschutzmaßnahmen) werden von Kritikern als Beleg für eine linke Haltung angeführt.
CDU/CSU in der Zwickmühle
Für die Wahl der Verfassungsrichter ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich, die Regierungskoalition aus Union und SPD auch mit den Grüne allein nicht erreichen.
Die Stimmen der Linken sind für den Unionskandidaten unerlässlich, doch ein Unvereinbarkeitsbeschluss der Union schließt eigentlich eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei aus. Bundeskanzler Friedrich Merz nutzte die Stimmen der Linken bisher nicht direkt, um selbst Bundeskanzler zu werden, sondern um einen zweiten Wahlgang am selben Tag zu ermöglichen, nachdem er im ersten Wahlgang am 6. Mai 2025 die erforderliche Mehrheit verfehlt hatte.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann unterstützt trotz interner Kritik die SPD-Kandidatinnen: „Bei den Richterwahlen für das Bundesverfassungsgericht geht es um die Handlungsfähigkeit unserer Demokratie.“ Ein Scheitern von Brosius-Gersdorf könnte auch den Unionskandidaten Günter Spinner gefährden.
Schweigen der Kirchen
Die katholische Kirche hat sich durch das Katholische Büro kritisch geäußert. Prälat Karl Jüsten betonte: „Es ist kein Geheimnis, dass die Kirche bei der Regelung von Abtreibungen verfassungsrechtliche Positionen für ein abgestuftes Lebensschutzkonzept nicht teilt. Auch die Menschenwürde des ungeborenen Lebens stellen wir nicht infrage.“
Der Bund katholischer Unternehmer betonte angesichts der erneuten gesellschaftspolitischen Debatten über das Thema seine Haltung zum Lebensrecht ungeborener Menschen. Eine umfassende Stellungnahme der katholischen oder evangelischen Kirche bleibt bisher jedoch aus. Angesichts der Bedeutung des Themas wächst in weiten Teilen der Bevölkerung die Erwartung, dass die Kirchen vor der Wahl ihre Position klarer formulieren.
Die Wahl am Freitag wird ein Prüfstein für die Koalition aus Union und SPD. Die Abhängigkeit von den Stimmen der Linken stellt die CDU/CSU vor ein Dilemma, das die innerparteilichen Spannungen verschärfen könnte. Die Debatte um Brosius-Gersdorf und Kaufhold zeigt, wie stark politische Ideologien die Besetzung des höchsten Gerichts beeinflussen. Ob die Union ihren Kandidaten Günter Spinner durchbringt, hängt von ihrer Bereitschaft ab, mit der Linken zu verhandeln – ein Schritt, der die politische Landschaft weiter nachhaltig prägen könnte.
Details zu Wahl
Die beiden Senate des Bundesverfassungsgerichts setzen sich jeweils aus acht Mitgliedern zusammen.
Laut Bundesverfassungsgerichtsgesetz werden drei Richter jedes Senats aus der Zahl der Richter an den obersten Gerichtshöfen des Bundes gewählt. Gewählt werden sollen nur Richter, die wenigstens drei Jahre an einem obersten Gerichtshof des Bundes tätig gewesen sind. Die Richter müssen das 40. Lebensjahr vollendet haben. Ihre Amtszeit dauert zwölf Jahre, längstens bis zur Altersgrenze, dem vollendeten 68. Lebensjahr.
Die Wahl ist geheim. Zum Richter ist gewählt, wer eine Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigt.
Die Wahl des Unionskandidaten ist laut Homepage des Bundestages, am Freitag, den 11. Juli gegen 10.00 Uhr geplant, die Wahl der SPD Kandidatinnen gegen 12 Uhr.
Bildquellen
- BVerfG, bundesverfassungsgericht: Udo Pohlmann