
Ein Kommentar von Bianka Specker
Wir dürfen nicht reden, wir sollen nicht schreiben. „Nazi!“ „Rechte Sau!“ „Willst Du den gesellschaftlichen und sozialen Abstieg?“
Es geht so nicht weiter, wir müssen reden und ich muss das hier schreiben. Durch den Tod des Jungen auf Gleis 7 am Frankfurter Hauptbahnhof wurde eine rote Linie überschritten. Diese Einleitung zu einem Kommentar mit dem Titel „Die Leidensfähigkeit der Deutschen“ schrieb ich im Juli 2019.
Zuvor stand eine Mutter mit ihrem Sohn an Gleis 7 des Frankfurter Hauptbahnhofes, als ihr Kind vor ihren Augen wohl heimtückisch auf die Gleise gestoßen wurde. Sie konnte ihrem Sohn nicht mehr retten, es ging alles zu schnell. Das Kind starb.
Niemand von uns rechnet mit so einem Angriff aus dem Hinterhalt. Ein normales Leben wäre dann gar nicht möglich, wenn ständig die Gedanken darum kreisen müssten, wo Sicherheit gewährleistet werden könne und wo nicht?
„Street smart“ nennt sich das moderne Phänomen, bei dem es gilt problematischen Ecken und Vierteln aus dem Weg zu gehen.
Segregation
Wenn nun Menschen mit einem mulmigen Gefühl unterwegs sind, dann ist das vermutlich statistisch gesehen in den meisten Fällen völlig unbegründet. Diese subjektive Angst vor Gefahren, die das Überleben sichert und genetisch verankert ist, ist bis heute nicht eingedämmt worden. Sie kann aber nicht eingedämmt werden, wenn es weitere „Einzelfälle“ gibt und die Politik außer Symbolpolitik in Form von neuen Sprachregelungen und Betroffenheitsbekundungen nicht handelt.
Gruppenvergewaltigungen, Randale in Freibädern, die Kölner Silvesternacht, Kandel, der Anschlag vom Breitscheidplatz, Messer und Gewalt in den Schulen und an Gerichten, sogar schon seit Jahren die Angriffe gegenüber der Polizei und Rettungskräften bei ihren Einsätzen – all diese Fälle und die Untätigkeit führen zur Segregation und zu Fremdenhaß.
Pfeffersprays gehören mittlerweile in jede Frauenhandtasche, ebenso wie die Teststreifen für K.O. Tropfen und die Devise „Zusammenbleiben“, niemand geht allein nach Haus. Auch Männer sind uns als Opfer von K.O. Tropfen bekannt.
Freibäder werden bereits seit Jahren gemieden, der Pool im Garten genießt eine Renaissance, Möbelmessen verzeichnen größeren Zulauf, das „Homing“ wurde zum Trend- seit Corona und den Beschränkungen ohnehin.
Tagsüber, wenn Einkäufe erledigt werden und abends, wenn man rausgeht, steht Security an den Eingängen, einige Lokale bieten Frauen Begleitschutz zum Wagen ins Parkhaus an. Sonst gilt schon lange die Empfehlung: „Taxi rufen und drinnen warten.“
Wer die Täter seit Jahren sind? Wie ich schon 2019 schrieb: „Nun ja, „Männer“. Mir ist kein Fall bekannt, bei der eine Frau mit einer Machete, einer Axt oder einem Messer ausgeflippt ist. Diese Fälle wird es vermutlich auch geben, aber wie die Anzahl der Frauen in den Gefängnissen wird ihre Anzahl bei den neuen Gewaltdelikten überschaubar sein.
Analyse und Prävention
In Voerden war der Mann ein serbischer Staatsbürger, in Deutschland geboren, in Frankfurt war der Täter ein Mann aus Eritrea. Herauszufinden welches Motiv sie hatten und warum sie diese Taten ausführten ist Aufgabe der Polizei, ebenso die Suche nach einem Muster oder Verbindungen. Die Politik muss gewillt sein, sich hier deutlicher hinter ihre Beamten zu stellen. Symbolpolitik reicht nicht mehr, erst recht kein Euphemismus. Auch keine Beweislastumkehr, welche zusätzlichen Druck auf die Beamten ausübt und das sprachliche Korsett enger schnürt.
Politisches Versagen kann nicht schöngeredet werden. Es wird schon seit Jahren versucht. Sprachregelungen helfen da auch nicht. Es werden so viele Begriffe neu erschaffen, für immer denselben Sachverhalt, nur damit es wohler klingt. Solange die Probleme noch tatsächlich vorhanden sind und der Bürger es tagtäglich in der Realität vor Augen geführt bekommt, ändert sich nichts. Es gilt immer noch „street smart“ zu sein und darüber reden die Bürger mittlerweile auch offen.
Die Politikverdrossenheit nimmt weiter zu, die Wähler bleiben zunehmend der Urne fern. Die Gründe sind zahlreich, aber es liegt ihnen immer ein Aspekt zugrunde: mangelnder Respekt. Die Menschen fühlen sich verschaukelt. Zahlreiche Versprechen wurden nicht gehalten, taktische politische Entscheidungen zur Erhaltung der Mandate entgehen auch den „einfachen“ Bürgern nicht mehr.
Es wird von „denen da oben“ gesprochen. Feudale Hochzeiten auf Sylt, wenn das Volk eindringlich darauf eingeschworen wird, dass es sparen soll, interessant gestaltete Lebensläufe oder ständige Besuche in Talkshows statt Reden und Debatte im Bundestag sind da nicht förderlich. Ebenso die ausufernden Ausgaben für Fotografen oder Make-Up. Es reicht nicht, nur schöne Bilder zu erzeugen.
Wie geht es weiter?
Nur in einer offenen Gesellschaft, in der Probleme und Herausforderungen ehrlich analysiert werden und in der anschließend gemeinsam an einer Lösung der Probleme gearbeitet wird, kann ein Miteinander aller möglich sein. Ohne Haß und Ressentiments.
Die Menschen wollen Sicherheit und Ordnung, sie wollen nach getaner Arbeit die Seele baumeln lassen. Niemand möchte an Gefahren denken. Es muss möglich sein, öffentliche Veranstaltungen oder Events durchführen zu können, ob Silvester, Weihnachtsmarkt oder andere Formen des Miteinanders, ohne das es zu Gefahrenlagen oder Ausschreitungen jeglicher Art kommt.
Neben der Politik sind hier auch die Kirchen gefordert. Es geht um Respekt und Verantwortung den Menschen gegenüber. Dazu gehört auch der Dialog mit den Bürgern.
Egal welche Herkunft, welche Meinung oder welche Religion oder Weltanschauung jemand hat: nur der Dialog verbindet und schafft Brücken. Ich weiß gar nicht, mit welcher Motivation ein Kirchenvertreter sagen kann „Mit denen rede ich nicht!“ Oder wie Parteien, Abgeordnete, gewählte Mandatsträger es wagen, andere, ihnen mißliebige Ansichten, Personen oder Parteien, NGO´s auszugrenzen.
Im Evangelium gibt es den Begriff Aussätzige, heute werden oft Menschen so behandelt, die eine andere Meinung, eine andere Lebensart, Herkunft oder einen anderen Impfstatus besitzen.
Wie wäre Jesus mit den Menschen umgegangen, die heute gesellschaftlich an den Rand gestellt werden? War Jesus ein Vertreter des Mainstream? Wie in Markus 1, 40-45 nachzulesen wohl kaum, er heilte die Aussätzigen und ermöglichte ihnen ein Leben in der Gemeinschaft.
Das gelingt nicht bei jedem, es gibt Menschen die nicht „geheilt“ werden wollen oder gar müssen. Das ist ja die Toleranz und Akzeptanz, die eine demokratische moderne Gesellschaft ausmacht. Was an dieser Stelle des Evangeliums wichtig ist: Jesus scheute nicht den Dialog, er sah nicht weg, sondern ging auf die Menschen zu, lud zum Gespräch ein, hörte zu. Egal, wer da vor ihm stand.
Hören wir heute noch wirklich zu?
Ein Böller- oder Feuerwerksverbot wird das darunter liegende Problem nicht lösen, ebenso wie Sicherheitsdienste überall oder Merkel-Poller bei Veranstaltungen.
Wie ich bereits schrieb: „Es ist Zeit zu reden und es ist Zeit, dass die Politik handelt.“
Wir werden als Organ der Presse unseren Anteil daran leisten.
Wir stehen für den Dialog, für ein Miteinander, für die Freiheit und Selbstbestimmung – für eine Gesellschaft ohne Hass und Ressentiments, in der jeder Mensch sich geborgen und respektiert fühlt.
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- Menschen, Team, Dialog, Gesellschaft, Volk: Gerd Altmann/pixabay