Fontane: Beutst du dem Geiste seine Nahrung – mit Kommentar

Symbolbild: Engin Akyurt / Pixabay

Beutst du dem Geiste seine Nahrung

Ein Gedicht von Theodor Fontane

Beutst du dem Geiste seine Nahrung,
So laß nicht darben dein Gemüt,
Des Lebens höchste Offenbarung
Doch immer aus dem Herzen blüht.
 
Ein Gruß aus frischer Knabenkehle,
Ja mehr noch, eines Kindes Lall′n,
Kann leuchtender in deine Seele
Wie Weisheit aller Weisen fall′n.
 
Erst unter Kuß und Spiel und Scherzen
Erkennst du ganz, was Leben heißt;
O lerne denken mit dem Herzen,
Und lerne fühlen mit dem Geist.


Theodor Fontane (* 30.12.1819, † 20.09.1898)

Quelle: Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 20, München 1959–1975, S. 24-25., gemeinfrei http://www.zeno.org/nid/2000476918X

Kommentar von Herausgeberin Bianka Specker

Seit dem Osterwochenende, genauer dem 8. April 2023, fiel die Rechtsgrundlage für die restlichen Maßnahmen aus § 28b Infektionsschutzgesetz (IfSG). Doch ist alles wieder so wie vorher?

Die Coronazeit hat Spuren hinterlassen. „Erst unter Kuß und Spiel und Scherzen
Erkennst du ganz, was Leben heißt;“ heißt es in dem Gedicht von Fontane. Wir haben in den letzten 3 Jahren gelernt, was es heißt nicht zu leben. Eingesperrt zu sein, ausgeschlossen von der Gesellschaft, von Freunden, ja selbst von der Familie.

Ostern mit Regeln zum Zusammenkommen der Familie zur Auferstehungsfeier, Masken selbst für die Kinder und Schüler, die sich auf 1,5 Meter Abstand halten müssen. Kein „Drücken“ oder „In den Arm Nehmen“ nach den Abiklausuren, kein gemeinsames Zusammenstehen und den letzten Schultag feiern, keine Feier, keine Party, kein Besuch im Krankenhaus oder Altenheim. Kein Einkaufsbummel durch die Stadt, kein Gang auf den Weihnachtsmarkt. Einsame Beerdigungen mit Abstand zu Menschen.

Abstand. Maske. Einteilung von Menschen in Gesundheitskategorien und Impfstatus. Angst. Sorge. Moralische Appelle, Beleidigungen. Politische Äußerungen, wie „geimpft, genesen oder gestorben.“*

Moralische Verpflichtungen.

Es gibt plötzlich Begriffe wie Impfgegner, Ungeimpfte, Geimpfte, Grundimmunisierte, Geboosterte.

Armbändchen auf dem Weihnachtsmarkt. Weitergabeverbot an „Ungeimpfte“. Einigen war dies zu viel und es wurde nach Alternativen gesucht, um alle Menschen teilhaben zu lassen. Bei Gottesdiensten in der Kirche 2G. Impfangebote der Kirche.

Ständige Appelle, eine staatliche Impfkampagne, Coronatests und Auflagen für Ungeimpfte.

2G für die Presse in Osnabrück.

Demonstrationen und Gegendemonstrationen für und gegen die Impfpflicht und der Grundrechtseinschränkungen.

Wir haben beide Veranstaltungen besucht und mit den Menschen dort gesprochen. Durch Abstand und Isolierung – Lockdown, Shutdown „Notbremse“ war ein niederschwelliger Austausch über die Gegebenheiten, Arbeitsbedingungen nicht möglich. Ihre Anliegen, aber auch die Geschichten der Menschen, hinterließen oft einen nachhaltigen Eindruck.

Was von der Coronazeit geblieben ist und was meiner Meinung nach viel zu kurz kommt, ist die Diskussion über das Überbordwerfen sämtlicher Regeln des menschlichen Miteinanders:

Respekt vor der Entscheidung und das Leben anderer Menschen, Toleranz im Sinne des Gewährenlassens und Geltenlassens anderer Überzeugungen, Handlungs- und Denkweisen. Wer wird nun noch als Querdenker im klassischen, also ursprünglichen Sinne bezeichnet werden wollen?

Menschen forderten andere Menschen sich impfen zu lassen, auch wenn erwidert wurde, dass es gesundheitlich aufgrund einer Krankheit laut Arzt nicht ratsam sei. Menschen, die nicht in der Lage waren, eine Maske zu tragen, wurden öffentlich angegangen. Wir berichteten hier über den Appell der Lebenshilfe Osnabrück, besser aufzuklären. Ich zitiere aus dem Beitrag aus dem Mai 2020 den Vorsitzenden Franz Haverkamp der Lebenshilfe Osnabrück:

„Leider finden Menschen mit Behinderungen in der derzeitigen Corona-Diskussion keine Beachtung und werden völlig vergessen. Das muss sich ändern, wenn wir die Idee einer inklusiven Gesellschaft auch wirklich weiterentwickeln wollen.“ 

Eine gesellschaftliche Debatte, die die Bedürfnisse behinderter Menschen ignoriere, erreiche leider genau das Gegenteil – und zwar eine Spaltung der Gesellschaft. 

Diese Aufklärung fand nicht statt. Auch heute ist die Idee der Inklusion, ein Miteinander aller, ein zartes Pflänzchen, was gerne in Panik über Bord geworfen wird.

Für das eigene Ego?

Es gab sogar Menschen, die schürten Hass gegen Maskenverweigerer. Es ist soviel geschehen, dass es doch viele Gespräche brauchen wird, die es noch nicht gibt. Die es vielleicht auch noch nicht geben kann, zu groß sind die Verletzungen.

Wie schrieb Fontane?

O lerne denken mit dem Herzen,
Und lerne fühlen mit dem Geist.“

Die Seele wieder leuchten lassen, Resilienz wieder aufbauen, Kraft sammeln, die psychische Widerstandsfähigkeit wieder zu erlangen, die so gefordert wurde, für die Gespräche, die noch vor uns liegen. Ich denke, dass ist es, was für nun alle benötigen.

Aufklärung und eine Versöhnung wird zwingend erforderlich sein, für die Kinder und die Jugend, für eine Zukunft mit einem wahrhaftigen Miteinander aller Menschen.

In der Krise beweist sich der Charakter.

Helmut Schmidt


*Am 22. November 2021 schreibt das ZDF auf seiner Webseite:

„Minister Spahn warnt erneut vor der hochansteckenden Delta-Variante des Coronavirus: Am Ende dieses Winters sei jeder in Deutschland „geimpft, genesen oder gestorben.“